Anhang C. Ueber Aegithognatie, deren Entwickelung und taxonomische Bedeutung, Inhalts-Uebersicht.

Von A. E. Kohts

Die kurz gefasste Einleitung des ersten — vorwiegend historischen — Capitels betrachtet die zwei wichtigsten methodologischen Erforschungsrichtungen in der Zoologie, welche als kritisch-induktive und dogmatisch-deduktive, je nach dem näheren Verhältnis zur Entwicklungslehre und dem Vorwiegen von mehr exaktphysiologischer oder historischer Betrachtungsweise zu bezeichnen wären.

Das darauf folgende Capitel I beginnt mit einem kurzen Hinweis auf das Missverhältnis beider Forschungsrichtungen auf speciell-ornithologischem Gebiet, wobei die ausserordentlichen Schwierigkeiten in der Anwendung der deduktiv-historischen Methode beim Aufdecken genetischer Verbände innerhalb genannter Vertebraten-Unterabteilung hervorgehoben werden. Nach einer kurzen diesbezüglichen Besprechung einer Reihe älterer Systeme wird ferner die Entstehungsweise und das Eigentümliche des Huxley'schen Systems behandelt, dessen kurzer Darlegung eine methodologisch-kritische Besprechung der bedeutendsten Veränderungen dieses Systems — wie Solche namentlich in den Monographien W. K. Parkers, wie einer Reihe anderer Autoren vorgefunden werden — folgt. Als Resultat des einleitend-historischen Capitels, welches an der Hand entsprechender Literatur-Auszüge und vom Standpunkte methodologischpraktischer Verwertung der verschiedenen Ansichten behandelt wird, — ergiebt sich neben der bekannten Unzulänglichkeit der Huxley'schen Principien bei Anwendung auf die drei ersten Typen des Systems, — der Einweisung auf die bekannte strukturelle Continuität von Desmo-Schizo-Dromëognathie — ein auffallender Mangel zureichender Kenntnisse über das Wesentliche des Aegithognathen-Typus, was an der Hand scharf wiedersprechender Definitionen dieses Terminus in den bedeutendsten modernen Handbüchern erläutert und auf Verkennen der der Aegithognathie zu Grunde liegenden embryologischen Verhältnisse bezogen wird.

Im folgenden Capitel II werden die wichtigsten Ergebnisse origineller Studien über die strukturellen Eigentümlichkeiten des Aegithognathen-Typus vorgelegt, und zwar auf Grund ausführlicher Erforschung der Entwicklung des Kiefer-Gaumen-Apparates bei Corvus frugilegus.

Nach einer mehr kursorischen Behandlung der taxonomisch minder in Betracht kommenden Anfangsstadien in der Onthogenese der primordialen Schädelteile, welche zudem mit diesbezüglichen Befunden anderer modernen Forscher sich als übereinstimmend erwiesen [so z. В.: frühzeitiges Verbinden von Trabekeln und Parachordalia event. deren vollkommen einheitliches Auftreten; unpaarige Anlage der Letzteren; mächtige Ausbildung der Intertrabecula...], wird bei dem Studium mehr vorgerückter Stadien, die erste Anlage und Ausbildung des zur Beurteilung der Aegithognathie in hohem Grade massgebenden Elementes, des Pflugcharbeines oder Vomer eingehend behandelt, wobei im Gegensatze zu den Ansichten von W. K. Parker über die vermeintlich knorpelige, enchondrale Anlage genannten Elementes, diese auf ungenügender, bloss makroskopischer Erforschung ruhende Behauptung, wie auch die weitere, selbst in modernen Handbüchern sich vorfindende Ansicht Parkers von einer Doppel-Anlage des Vomer der Aegithognathen, auf das Entschiedenste zurückgewiesen, und die perichondrale unpaarige Anlage des Corpus vomeris auf Grund origineller Schnittserien-Studien angenommen wird. Daneben wird die vom genannten Forscher beiläufig gemachte, von der Mehrzahl aller übrigen Autoren gänzlich übergangene und der Vergessenheit anheimfallende Angabe über das nähere Verhältnis des Aegithognathen-Vomer zu gewissen Abschnitten des knorpeligen Nasen-Labyrintes, (speciell der hinteren Partien der vestibularen Muscheln) in vollem Umfange bestätigt, ja dieses innige Verhältnis zwischen Pflugscharbein und Vorhofs- Muschel in den Vordegrund gestellt, als diagnostisch ausschlaggebendes Moment in der Beurteilung der Aegithognathie. Dagegen wird der Ausbildung der für den Aegithognathismus so bezeichnenden Pflugscharbein-Hörner (Cornua-anteriora vomeris) eine morphologisch nebensächliche Bedeutung zugesprochen, und kommen diese Letztere dadurch zu Standen, dass an dem Vorderrande des zuerst stumpf-zugerundeten, später mehr polygonalen Corpus vomeris sich jederseits zwei Paare Ossiffikations-Kerne bemerklich machen, welche sodann auf Kosten der dem Vomer Vorderrande anliegenden Knorpelteile der erwähnten Vorhofs-Muscheln sich distal entfalten, die bekannte Spaltung an dem Vorderrande des Aegithognathen-Pflugscharbeins bewirkend. — Es dürfte diese neue Auffassung der Aegithognathie — bei welcher alles Ilaupigewicht auf die Entwicklungsweise resp. die onthogenetisch- zwiefache Textur des vorderen Vomer-Endes zu verlegen wäre (perichondrale unpaarige Anlage des eigentlichen Corpus vomeris und die erst später zukommende Ausbildung der paarigen, auf Kosten der Vestibular- Muscheln sich ausbildenden Cornua anteriora), sich auch in praktischer Beziehung in so weit bestätigen, als einige vermeintliche Aegithognathen ausserhalb der Passerinen-Ordnung — (wie solche namentlich von Garrod wegen breiter Gabelung des Pflugscharbeins angeführt) — nunmehr aus dem Aegithognathen-Typus ausgesondert werden und genannter Typus sich als einheitlich erweisen dürfte.

Die in dem speciellen Teile durch das Studiun der Onthogenese eines typischen Aegithognathen-Schädels neu gewonnene Definition des genannten Typus erleidet in dem Schlusskapitel vorliegender Arbeit insofern eine Bestätigung, als die dem früheren Begriffe involvierte Vorstellung einer stets anwesenden Vorder-Gabelung des Vomer — auf Grund vergleichend-anatomischer Nachprüfung diesbezüglicher Literaturangaben, in erster Reihe des von W. K. Parker angehäuften Materials, als ein dem wirklichen Begriff der Aegithognathie nicht absolut-notwendiger Bestandteil sich erweist. Des weiteren ergiebt die Variabilität in der Beschaffenheit des Vorderendes am Aegithognathen- Vomer die Unzulässigkeit der seitens W. K. Parker vorgeschlagenen Gruppierung der verschiedenen Aegithognathen-Formen (Complete Aegithognatism, Var 1 & 2) im Sinne einer taxonomischen Verwertung, sofern genannte Formen lediglich als Aeusserung verschiedener Entwicklungsstufen der Phylogenese des Aegithognathen-Typus aufzufassen wären. Auf das Problem des Ursprungs dieser Letzteren eingehend, wird an der Hand entsprechender Angaben W. K. Parkers die Zugehörigkeit des Schädelbaues von Thynocorus zu den Aegithognathen vollständig bestätigt. Die einer Annahme der morphologischen Identität des Kiefer-Gaumenapparates der Passeriformes einerseits und den Thinocoridae anderseits sich anschliessende Frage von der systematischen Beziehung ersterer zu den abnormen neotropischen Limicolae, wird insofern in positivem Sinne diskutiert, als die genannte Uebereinstimmung im Schädelbaue beider Gruppen nicht auf Erscheinungen der Konvergenz bezogen werden kann und anderseits die Eigentümlichkeit des Kiefer- Gaumen-Apparats allein es ist, welche für die gesammte Gruppe der Passeriformen als in wahrem Sinne diagnostisch angenommen werden kann. — Die Frage über die Beziehung des Aegithognathen-Typus zu den übrigen drei Abteilungen des Huxley'schen Systems wird nach dem Anschluss der nunmehr als pseud-aegithognath sich zeigenden Limicoliden Garrod's zu Gunsten eines näheren Verhältnisses zur Dromaeognathie beantwortet, wofür in erster Reihe die onthogenetisch frühe Anlage so wie das gleichzeitige Auftreten des Vomer-Labyrinth-Komplexes Zeugnis legen dürften. Im übrigen wird in Anschluss an die von Seiten Haeckel's (1866) postulierte deduktivsynthetische Behandlung morphologischer Befunde und die bekannte Fürbringer'sche Forderung an die zur Aufdeckung genetischer Verhältnisse sich eignenden Differential-Momente — auf das vollkommene Gerechtwerden genannten Forderungen des in der vorliegenden Arbeit einer embryologisch-taxonomischen Nachforschung unterzogenen Aegithognathen- Typus hingedeutet.